Auszug aus Der Weg der Götter
Erfüllt von Freude und Dankbarkeit steig ich weiter bergab über enge Pfade. Auf Tafeln wird vor den Gefahren des Abstiegs gewarnt und die am Wegesrand montierten Stahlseile helfen den Weg entlang der steil abfallenden Geländekanten einigermaßen sicher zu bewältigen. Der Weg nach unten gibt immer wieder tolle Ausblicke in die umliegende Landschaft frei und auf der Rückseite des Gazzaro scheint sich das Wetter auch zunehmend zu bessern. Das hilft den Klettersteig über die steilen und oft lehmigen Hänge besser einschätzen zu können. Das Klettern, der sich aufhellende Himmel und die Ausblicke weit in die Toskana tragen merklich dazu bei, meine Stimmung weiter zu verbessern. Zwar schmerzen meine Kniee vom ständigen nach unten gehen, doch überwiegt die Freude an der Landschaft und den wärmeren Temperaturen.
Unten am Passo dell´ Osteria Bruciata angekommen hoffe ich dort Selbige vorzufinden. Doch wie der Name bei genauerer Betrachtung vermuten lässt, handelt es sich dabei nicht um eine lebendige Gaststätte der Jetztzeit denn vielmehr um das Gedenken an eine solche. Denn „Osteria bruciata“ heißt so viel wie verbrannte Taverne. Und daher findet man an dieser Stelle keine Möglichkeit zur Einkehr, sondern lediglich einen dreieckigen Stein inmitten einer kleinen Lichtung an der sich fünf Wege treffen. Ich verweile dort dennoch für einen kurzen Moment und mache mich weiter auf nach Sant´ Agata dem nächsten Ort wo ich hoffe mich verpflegen zu können.
Auszug aus Der Weg der Götter
Mein Durst ist so groß, dass ich kurz überlege mich auf die Frechheit eines überteuerten Sitzplatzes mit Getränk einzulassen, komme aber gleich wieder davon ab, als ich einen kleinen Stand mit Erfrischungen in der Nähe von Michelangelos David sehe. Zwar kostet dort ein zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk immer noch deutlich zu viel, aber ich habe nicht den Eindruck den ganzen Stand mitkaufen zu müssen, sondern lediglich seine Ausstattung. Ich gönne mir zwei Flaschen von je einem halben Liter, für die ich die gleichen acht Euro bezahle wie für einen Café, nur dass ich nun einen ganzen Liter Erfrischung erworben habe, meine Sitzmöglichkeit unmittelbar vor mir liegt und sich direkt über dem Wasser, dem Arno befindet.
Auf der Ponte Vecchio angekommen finde ich dort einen Platz am Rand. Ich danke meinem Weg für dieses Plätzchen, stelle meinen Rucksack ab und beginne, mein Erfrischungsgetränk in nachmittäglicher Sonne über dem Arno sitzend zu genießen. Es ist wunderbar und ein bisschen so wie damals mit sechzehn Jahren. Ich beobachte die Touristen, wie sie Bilder von sich an diesem besonderen Ort machen. Ich versuche mir vorzustellen, wieviel Speicherplatz wohl gerade auf der Welt mit Selfies an Sehenswürdigkeiten belegt wird. Ich erfreue mich am Glück der Menschen, an ihren Grimassen oder dem Versuch, so natürlich wie möglich zu wirken. Letzteres endet in schöneren Grimassen als die, die vorher bewusst aufgezogen wurden. Die Stimmung ist positiv und ich bin einfach nur im Moment. Auch dass meine Beine einschlafen, stört mich nicht. Nach all dem was sie geleistet hatten, haben sie ein wenig Ruhe verdient.
Auszug aus (M)ein kleiner Pilgerweg
Ich starte also Richtung Lichtenfels. Mit Leergut in der Tasche geht es zum ersten Supermarkt, ein paar Besorgungen für den Tag machen. Doch so richtig gut drauf bin ich nicht. Liegt es daran, dass der erste Kaffee sehr „günstig“ schmeckt und der Flaschenautomat zu doof ist, das gestern hier mit Inhalt erworbene Leergut zu erkennen? Egal, ich ziehe weiter und meine Stimmung hellt sich auf, als ich in das Zentrum von Lichtenfels komme und das Pfarramt suche.
Wie findet man ein Pfarramt ohne Google? Man hält Ausschau nach einem historischen Gebäude nahe der Kirche. Dumm nur, dass es davon in Lichtenfels nicht nur eines gibt. Also werde ich eine Passantin fragen. Ich denke, sie sollte etwas älter sein und im Idealfall eine echte Lichtenfelserin. Nach kurzem Umsehen entdecke ich meine Zielperson: Eine grau melierte Dame, etwa 1,70 m groß, leicht gebückte Haltung, strenger Blick.
„Entschuldigung“ sage ich „könnten Sie mir sagen, wo hier das Pfarramt ist?“ „Na, da drüben“, sagt sie wirsch und hebt ihren Kopf dazu nur geringfügig. Dabei deutet sie auf ein in der Tat sehr historisches Gebäude und sieht mich mit einem Blick an, der fragt, wie es nur sein kann, dass man das nicht wisse. „Danke“ sage ich, gehe hinein und erhalte meinen Stempel. Danach gehe ich in die gegenüberliegende Kirche, setze mich und tue nichts. Nichts, außer den Raum betrachten und den stillen Moment genießen. Genauso halte ich es auch in der Stadt, lasse mich von Straße zu Straße treiben und meine Stimmung wird von Straße zu Straße besser.
Auf dem Rückweg gehe noch einmal in den Supermarkt und besorge ein paar Dinge. Auch der Flaschenautomat nimmt jetzt mein Leergut. Anscheinend war er ebenfalls kurz in der Stadt, was auch ihm sichtlich gutgetan hat.
Auszug aus Der Weg der Götter
Ich folge dem italienischen Wissenschaftler mit amerikanischem Namen brav über den Hof und nehme Ausschau nach dem Haus in dem sich die anderen Zimmer befinden könnten. Es gibt aber kein weiteres Haus. Nur eine Holzhütte auf die wir zugehen. Steven Hawkins sperrt die Türe auf und erklärt mir, dass ich eines der Betten auswählen könne. Mein Blick fällt dabei auf einen containergroßen und fensterlosen Innenraum, in dem sich sechs metallene Stockbetten befinden. Gepolstert sind die Liegemöglichkeiten mit Matratzen, die, wenn ich es gut meine, aus dem zweiten und nicht schon aus dem ersten Weltkrieg stammen. Bei den Bettgestellen bin ich mir diesbezüglich weniger sicher. Ich mache sofort kehrt, deute auf die große freie Fläche, die durch Hecken und Bäume unterteilt ist und frage, ob dies der Zeltplatz sei. „Si“, ist alles was Steven zu mir sagt. Worauf ich in den Weltkriegscontainer deute und lediglich „No“ sage. Ohne Gemütsregung schließt Steven die Türe der Hütte und meint, ich könne mich hinstellen wo ich wolle. Immerhin erklärt er mir noch ohne Aufforderung, dass es Essen ab 19 Uhr gäbe. Daraufhin macht er sich wieder auf den Weg in seinen Computer neben seinem Assistenten Q, und lässt mich im immer stärker werdenden Wind stehen.
Auszug aus (M)ein kleiner Pilgerweg
Den ersten Tag ganz alleine. Stimmt nicht, wir sind zu zweit: Meine schmerzenden Beine und ich. Meine Aufmerksamkeit richtet sich auf meinen Körper. Ich kann mich nicht treiben lassen, bin zu sehr im Kopf, finde in keinen Rhythmus. Die über 30 Kilometer von gestern waren zu viel. Und wie um die Kilometerleistung des Vortages ja nicht zu unterbieten, verlaufe ich mich heute, und komme ein zweites Mal an der Stelle heraus, wo ich vor einer Stunde bereits gewesen bin. Ich habe einfach viel zu viel auf dieses dumme Handy geglotzt, um den rechten Weg zu finden. Ich bin einfach nicht im Moment und nicht bei mir. Es ist so leicht, sich permanent ablenken zu lassen. Nur um sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen. Naja, vielleicht ist das für den zweiten Tag auch etwas viel verlangt. Doch selbst die endlos geraden Wege im Nürnberger Dammwald nehme ich als Hindernis und nicht als Angebot für Rhythmus und Ruhe wahr.
Bis nach Kalchreuth ist es eine Quälerei. Doch werde ich dort dafür mit einer Schale Herzkirschen belohnt. Auf einer Wiese übe ich mich im Kirschkernweitspucken. Mittlerweile ziehen am Himmel die ersten grauen Wolkentürme auf. Bevor es zu regnen beginnt, sollte ich in Dormitz, meinem zweiten Etappenziel, sein. Also zerre ich mich an meinen Wanderstöcken in die Höhe und humple weiter. Nach einer knappen Stunde erreiche ich mein Ziel und lasse mich dort am Dorfbrunnen nieder.
Der Himmel verdüstert sich immer mehr und bereitet mich nur auf das vor, was mich die nächsten Tage erwarten wird: Wasser, egal woher. Und in der Tat treffen mich von oben die ersten Regentropfen und von vorne das spritzende Brunnenwasser.
T E X T E